Bis(s) nach Bukarest

Eine Reise durch Transsylvanien

 

Meine Nasenspitze kitzelt - der Wind, der durch das offene Autofenster hineinweht, weckt mich. Es dämmert. „Wo sind wir?“, frage ich Thomas. Doch bevor er antworten kann, reißt er das Steuer herum. Ein echter Wolf mit funkelnd gelben Augen hat uns zur Vollbremsung gezwungen! Eine Gänsehaut durchjagt meinen Körper, während der Wolf erhaben ins Dunkel zieht. Noch bevor ich darüber nachdenken kann, schrecke ich erneut hoch: durch das offene Fenster ragt ein Rosenkranz. Zögernd greife ich nach ihm und sehe die Gestalt einer alten Frau verschwinden. Nichts wie weg hier, denke ich! Doch inzwischen ist es stockfinster und die Tanknadel zeigt null. Ungläubig, es so ins nächste Dorf zu schaffen, beginnen wir hastig nach einer Bleibe zu suchen. Doch niemand öffnet. Plötzlich springt das knarrende Tor der Kirchenmauer auf. Vorsichtig treten wir ein, da raubt uns eine Schar kreischender Fledermäuse die Sicht. Mit wirbelnden Armen versuchen wir sie zu vertreiben, als jäh ein finsterer Mann vor uns erscheint. Er deutet an, ihm ins düstere Gemäuer zu folgen. An der Wand hängen güldene Spiegel - erschrocken starre ich hinein. Denn da wo ein Spiegelbild sein sollte, ist keines. Nur Thomas ist zu erkennen, das blasse Wesen aber zeigt keinerlei Konturen. Entsetzt stolpere ich über ein Kehrblech und schneide mich. Das herausrinnende Blut lässt der spitzzahnigen Kreatur die Gier in die Augen steigen. Doch sie wendet sich ab, wirft ruckartig den Umhang vors Gesicht und verschwindet in der Dunkelheit. Zurück bleibt eine schwarze Spinne, die die Wand hochschellt. Ungläubig rennt Thomas zur Tür hinaus. Wo ist der unheimliche Fremde? Die einzige Spur führt in den Keller, ins vermeintliche Nichts, denn es ist stockduster. Eilig entzünden wir ein Feuerzeug. Was wir sehen, lässt unser Blut gefrieren: Urplötzlich stehen wir inmitten einer Gruft, umringt von unzähligen Grabmälern. Doch es kommt noch schlimmer: alle schweren Steinsärge stehen speerangelweit offen, als sich ein gewaltiger Dracula-Schatten langsam über die gesamte Wand erstreckt.

 

 

Schweiß gebadet schrecke ich auf. Der Schatten an der Wand ist immer noch zu sehen, doch statt in einer Gruft, befinde ich mich in einem Doppelbett in unserer Pension. Thomas schnarcht zufrieden, an der Wand hängt ein Rosenkranz und im Dorf jaulen die Wachhunde um die Wette. Wir nächtigen in der sächsischen Wehrkirche in Axente Sever mitten in Transsylvanien. Ich ziehe die Kühltasche mit all unseren Fressalien an mich uns suche nervös nach den Knoblauchzehen. Hätte ich einen Holzpflock, ja, ich würde mich noch ein bisschen sicherer fühlen, von Tageslicht ganz zu schweigen.

 

Den Schatten im Visier beruhige ich mich, indem ich mich an unsere Einreise nach Rumänien erinnere: Bis zu vier Stunden Wartezeit an der Grenze haben wir uns von anderen Reisenden und dem Lonely Planet sagen lassen. Doch als wir an der Grenze eintrudeln, werden wir bloß gefragt: „Drugs, munition, alcohol?“ Da wir „frisch“ von einem Festival kommen, führen wir außer Jägermeister, Ramazotti, den zwei Flaschen Sliwowitz, einer 4 l Weinbox und der übrig gebliebenen Bierpalette nichts mit uns, nein. Aber diese unbedeutenden Einzelheiten verschweigen wir lieber dem stämmigen Grenzwächter. Zu unserem Erstaunen guckt er nur aufs Nummernschild und meint: „Aus Deutschland? Willkommen! Gute Reise!“ und klopft uns auf die Schulter. Nett, die Rumänen!!! Auch in die kleine Traumstadt TIMISOARA verlieben wir uns sofort. Schnuckelige bunte Häuschen und lebendige Cafés verleihen der Stadt einen tollen Charme. Ich würde ja ein bisschen weiter schwärmen, würden wir uns nicht unmittelbar darauf auf einem Campingplatz mit Kaltwasserversorgung, ohne Strom und in unserer miefenden Bettwäsche befinden. Rumänischer Kleinstadtcharme adé!

 

Die Fahrt nach Transsylvanien (SIGHISOARA) ist beschwerlich: heiß und holprig. Und jaa für diese Straßen muss man auch noch blechen! Immerhin 7 für einen Monat. Wenn ich im Nachhinein darüber nachdenke ist es wohl eher der Eintrittspreis für eine wilde Geisterbahnfahrt: am Straßenrand reiht sich ein Kreuz ans nächste, sowie tot gefahrene Tiere. Der Grund macht sich schnell bemerkbar. Trotz Verbotsschilder wird IMMER und ÜBERALL überholt. An durchgezogener Linie, LKWs PKWs, in der Kurve, vier Autos auf einmal, nebeneinander und im schlimmsten Fall übereinander... Mittendrin todesmutige Kutschen- oder Fahrradfahrer. Ein echter Höllenritt! Die Nacht in der besagten Wehrkirche lässt uns trotz ihres Gruselfaktors also echt zur Ruhe kommen. Und vom Kirchturm aus, den wir abends noch hinaufkraxeln, hat man eine atemberaubende Aussicht. Storche fliegen durch die unendliche Weite des Landes. Es hätte eine so schön selige und christliche Nacht werden können, hätte ich mir nicht noch kurz vor dem Schlafengehen Draculas Eckdaten verinnerlicht:

 

Vlad III. Drăculea lebte 14311476 und trug den niedlichen Beinamen „Sohn des Drachen“, was seinerzeit ein Synonym für „Teufel“ war. Heute würde sich wohl sofort das Jugendamt einschalten und den Eltern, die ihr Baby „Ausgeburt der Hölle“ nennen, das Kind sofort entreißen. So nicht in Draculas Fall – dem Unschuldslamm wurde die Grausamkeit von Mami & Papi schonungslos in die Wiege gelegt. So ließ der kleine teuflische Racker später seine Feinde für einen langen und qualvollen Tod bei lebendigem Leib auf Holzpfähle aufspießen – daher sein Kosename „Vlad der Pfähler“.

 

Einst der blutrünstigste Massenmörder der Welt und heute der Kassenschlager Transsylvaniens: in T-Shirt-, Tassen-, und Hampelmannform. Sogar als Vorlage von großen Liebesromanen, siehe die „Twilight“-Triologie, dient er heute! Wenn Vladdi das wüsste, er würde sich in seiner Gruft umdrehen! Oder wie unser Hostelkompane es treffend formuliert: „This ugly motherfucker was supposed tob e a bad ass! See what happened to his legend!“


Wir stimmen zu und lachen gemeinsam über Vlad’s Homies Bella&Edward, Graf Duckula, Rüdiger und Buffy – als ein pechschwarzes Gewitter über uns aufzieht. Ein Temperatursturz von etwa 15° bricht über uns hinein und schüttet mit aller Gewalt Regengüsse, Hagel und Blitze aus. Das Gewitter ist genauso schnell weg, wie es gekommen ist und als sich der Nebel verzieht erschrecken wir nicht schlecht, als der Bobtail des Nachbarn völlig durchnässt und hechelnd vor uns sitzt. Wie ein begossener Pudel sieht er aus, scherzen wir noch. Wie er heißt, wollen wir wissen. „Lord!“… Ein „Pudel“ namens Lord? Lord Vlad Dracula vielleicht? Voller Ehrfurcht verbeugen wir uns vor dem Lord, denn spätestens seit Goethes Faust wissen wir ja: auch in einem harmlosen Pudel kann der Teufel stecken.

 

 

Nachtrag: 

Nichts wie weg aus BRASOV und dem Schloss „Bran“ verschwinden und bis(s) nach Bukarest durchheizen, wo wir unsern guten Freund Lord Mircea Gavril XIII. und seinen gleichnamigen Onkel treffen!

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Domínek (Dienstag, 25 September 2012 03:11)

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