101 Straßenhunde

Vorsichtig schlender ich durch die Straßen. Ich hab Hunger und den Rest der Bande verloren. Wo ich heute schlafe, weiß ich noch nicht. Mir kommen Kinder mit Rosensträußen entgegen. Die wollen sie bestimmt später wieder unter die Touris bringen. Als Zigeuner werden sie dann beschimpft und weggeschickt. Manchmal denke ich, die haben ein härteres Los gezogen als unsereins und streune weiter. Vorbei an alten Villen, wunderschönen Klostern aus dem 18. Jahrhundert und weniger ansehnlichen 70er Jahre Blocks. Aber das ist kein Vergleich zu dem, wo ich gerade herkomme. In den echten Slums bin ich zu Hause. Hier hat keiner sein eigenes Haus – hier steht Lügen und Betrügen an Tagesordnung, aber irgendwie muss man ja über die Runden kommen. Aber weiter jetzt: entlang an dem wohl größten Haus der Welt – den ehemaligen Palast von Diktator Nicolai Ceausescu, der so groß ist, dass im Keller sogar Auto-Rallyes stattfanden. Zuletzt muss ich mich noch durch die lange Opium Shisha Meile winden, um endlich am Ziel zu sein: die Street Lipscani und ihre Seitengässchen. Hier reiht sich ein stylisches Café ans nächste. Vom „Storage Room“, in dem Kellner im Blaumann bedienen, das „Freddo“, wo man unter einem riesigen Heinekenkronleuchter Cocktails schlürft oder das „Thomas antique“, in dem auf antiken Möbeln, zwischen Hirschgeweihen und schweren Vorhängen mit Rotwein und Bier angestoßen wird. Hier setze ich mich hin und warte: auf eine runtergefallene Hähnchenkeule, Streicheleinheiten oder meine „Susi“. Denn ich bin „Strolch“, einer von 100.000 streunenden Hunden in Bukarest. Uns wird man auch so schnell nicht los, denn wir sind längst zu viele. Und der Staat hat kein Interesse uns loszuwerden, vor allem nicht, so lange aus dem Ausland ordentlich für unsere weitere Existenz gespendet wird.

 

Hier muss die Idee zu Susi und Strolch entstanden sein: egal, wo man hinsieht – Strolche. Susis – privilegierte Hunde, die sich „Haustier“ schimpfen dürfen - dagegen gibt’s nur wenige. Zum Beispiel bei Mircea Gavril, dem Onkel und Namensvetter von unserem Kölner super Freund Lord Mircea Gavril. Nach unsrer ersten durchzechten Nacht in Bukarest sehen wir also nicht nur doppelt, wir hören anscheinend auch doppelt. Bei Mircea und seiner Frau Coca (the one and only, wie sich herausstellen wird) dürfen wir die nächsten vier Tage bleiben und uns rund um die Uhr mit lecker deftigen 5-warme-Mahlzeiten-am-Tag verwöhnen lassen. Man könnte meinen, man sei im Himmel, würde man nicht an der Eingangspforte von zwei zähnefletschenden, durch einen Straßenhund verstärkten, Wachhunden „begrüßt“ werden. Denkt man, man wäre dem Tod nur dank des dünnen Zauns knapp von der Schippe gesprungen, warten hinter dem Haus gleich noch mehr von denen: eine etwa 10-köpfige, lauthals bellende Bande lässt einen erneut auf den zweiten Geburtstag hoffen. Schnell wird klar, wir sind hier nicht im Himmel, sondern in der Hundehölle ;) Anführer ist „V.I.D(og).“, namens Thomas. Schon wieder scheinen wir 2x zu hören, aber der Familienhund heißt tatsächlich Thomas. Ja, ein Hund, der Thomas heißt?! Klein und nervig, wie verzogene Einzelkinder, die Angst haben, jemand würde ihnen den Platz streitig machen, nun mal sind. Ich liebe Hunde ja eigentlich über alles, aber bei Thomas gibt es einfach keinen Ausknopf. Er bellt IMMER, laut und schrill und wird von Mama Coca dafür mit Hühnchenkeulen vom Tisch belohnt. Aber wir wollen uns ja nicht in die Erziehung anderer einmischen. Dafür ist es hier auch viel zu schön – hier in der rumänischen Toskana. Außerdem gibt’s hier jede Menge „Bier für die Kinderen“ – ja, richtig gehört: Hier wird Holländisch gesprochen, denn dort hat Coca lange gewohnt. Außerdem Deutsch, Englisch und Rumänisch und „Bellisch“ – und das rund um die Uhr! Alle Hundi-Mordgelüste sind aber gestillt, als ein neues Bandenmitglied einzieht. Ein kleiner schwarzer zuckersüßer Hundewelpe, namens „Blacky“. Dabei sieht er viel mehr aus, wie eine kleine zuckersüße Lenny finden wir (hehe) – und prompt wird der kleine Racker umgetauft – in Lenny. Kann man schon von Namensvetternwirtschaft reden?

 

„Multomesk“, vielen Dank! Das finde ich „forte bun“, also sehr gut! Rumänisch lernen wir nämlich auch noch richtig schnell, vor allem, weil es so Italienisch angehaucht ist und wir uns ja eh wie in der Toskana fühlen. Wir hören von Mircea immer das Wort „Copy“ und erfahren, dass das „Kind“ heißt. Während Mircea also, der bis zu seinem 5. Lebensjahr in der Nähe von Timisoara gewohnt hat, weiter von seinen Kindheitserinnerungen erzählt, kriegen wir uns nicht mehr ein vor Lachen: wie logisch! Ein Kind, ist eine Kopie von einem selbst, also Copy, klar! Und Mirceas Onkel setzt noch einen drauf: machen heißt fuck. „Copy fuck“ also „Kinder machen“ – wir lieben diese Sprache! Auch als Mitchy krank wird gibt’s wenigstens einen kleinen Grund zum Schmunzeln. Er erklärt seinem Onkel, dass es wohl an der Klimaanlage liegt: „Klima kalt Klima kalt…“ – müsste es nicht „heiß Klima heiß Klima“ heißen? Oh nein, falsch gedacht, denn „kalt“ heißt auf Rumänisch „warm“! Schmunzeln darf man aber auch, weil man nur nach durchzechten Partynächten krank wird. In diesem Sinne Mircea: Danke für die lustige Zeit! Und ein feuchtfröhliches No-rock (Prost!) aus unserer aktuellen und deiner ehemaligen Wahlheimat, du Tanzbär!

 

Wir ehemaligen „Susis“ „strolchen“ derweil weiter und leben unser ganz eigenes Walt-Disney-Märchen!

 

Nachtrag der „Wannabe-Redaktion“: Es gibt leider gar nix mehr zu Schmunzeln. Lord Mitchie liegt nämlich mit einer Hirnhautentzündung die nächsten 2 Wochen im Krankenhaus in Köln! Forte bun Besserung Tanzbärchen! Und für den Rest: Dolle die Daumen drücken, dass wir uns nicht angesteckt haben! Denn wir unterliegen derzeit nicht einmal dem Schutz des mächtigen Brunos. Der wartet treu in Bukarest, während wir zwei ausgefuchsten Strolche mit Bus und Bahn auf Umwegen in Moldawien und der Ukraine sind…

 

… to be continued!

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